Information von Väter für Kinder e.V.:

Die Einsprüche der Bundesregierung gegen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR).

zu-dumm-Eltern
Warum gibt Ihnen die Regierung ihre Kinder nicht mehr zurück?
Von M. BREKENKAMP. Bielefeld – Dies ist die Geschichte von verzweifelten Eltern, von Trauer, Tränen und schlimmster Behördenwillkür.

Unter diesem Titel berichtete BILD am 30.5.2002 erneut über den Fall Kutzner, in dem den Eltern ihre beiden Töchter (jetzt 9 und 10) vom Jugendamt weggenommen wurden und in dem dann nach 5 Jahren der Europäische Gerichtshof in Straßburg entschied (26.2.2002), dass eine Verletzung des Artikels 8 (Recht auf Respektierung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliege und ihnen Schadensersatz für den erlittenen immateriellen Schaden und Ersatz der Gerichtskosten zusprach. Doch ihre Töchter sehen sie immer noch nur einmal im Monat für eine Stunde.

Das Bundesjustizministerium hat nämlich einen Revisionsantrag gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofes eingelegt, diesmal nicht, wie bei der Tabakregelung der EU einen Tag zu spät, sondern am letzten Tag der Dreimonatsfrist, berichtet BILD. Begründung: Die Richter hätten die „große Sorgfalt und Verantwortung der deutschen Instanzen“ nicht gewürdigt. Die verzweifelten Eltern verstehen nicht, warum ausgerechnet ein Ministerium in Berlin ihnen das Glück verwehrt. Der Vater: „So werden uns die Kinder nur noch mehr entfremdet.“

Dazu drängt sich uns unweigerlich nicht nur ein Vergleich mit dem Fall H. in Münster auf, in dem das Bundesverfassungsgericht gerade (21.6.2002) äußerst kritische Worte zu der ,,großen Sorgfalt und Verantwortung der deutschen Instanzen" (Jugendamt, Amtsgericht und Oberlandesgericht) fand und auch sehr eindringlich auf die verheerenden Folgen für die Kinder einer nicht hinreichend begründeten Herausnahme aus der Familie hinwies. Es drängt sich uns auch ein Vergleich mit den weiteren Einsprüchen der Bundesregierung gegen Straßburger Urteile auf, mit der Befürchtung, dass es sich hier statt Behördenwillkür eher um einen systematischen Versuch handelt, sich in Sachen Kindschaftsrecht von der Europäischen Gerichtsbarkeit und den entsprechenden internationalen Standards abzukoppeln. Wir errinnern an die Revisionsanträge zu den Straßburger Entscheidungen zugunsten eines Umgangsrechts der nichtehelichen Väter Sahin und Sommerfeld. (11.10.2001) Wie im obigen Fall, kennen wir den Originaltext der Einsprüche nicht, sondern nur entsprechende Presseberichte: Kindeswohl als örtliche Angelegenheit.

Uns liegt aber inzwischen der Aufsatz von Prof. E. Benda (Präsident des Bundesverfassungsgerichts, 1971-1983) vor, der diesen Beschwerden zu Grunde gelegen haben soll: Verkehrtes zum Verkehrsrecht. Anmerkungen zu den EGMR-Urteilen Sommerfeld, Elsholz und Sahin gegen Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 29 Jg. Heft 1-4, 2002, Seite 1-3. Wenn er tatsächlich die Haltung der Bundesregierung widerspiegelt, dann besteht wahrlich Anlass zur Sorge. Wir empfehlen daher dringend die Lektüre des vollständigen Aufsatzes, aus dem wir ja zwecks Kommentar nur auszugsweise zitieren können. 

Auffallend ist zunächst der Zynismus mit dem dieser Aufsatz beginnt. Den betroffenen Vätern wird tatsächlich ziemlich direkt unterstellt, dass es ihnen in erster Linie auf den zugesprochenen Schadenersatz ankam. (Am 21.12.2001 war übrigens ein weiteres Urteil, P. S. gegen Deutschland, ergangen in dem keinerlei Schadensersatzansprüche gestellt worden waren.)

Zum Fall Sommerfeld meint er: Deutsche Gerichte hatten das Begehren eines Vaters abgelehnt, auch gegen den Willen der Mutter mit seinem am 25. Januar 1981 geborenen nichtehelichen Kind Umgang haben zu dürfen. Als die Straßburger Entscheidung erging, war aus dem Kind eine junge Dame geworden, die nun nach eigenem Ermessen entscheiden konnte, ob sie ihren Vater treffen wollte. Seit 1990 hatte dieser ohne Erfolg um sein Besuchsrecht gekämpft, davon allein sechs Jahre in Straßburg, und zuvor über knapp zwei Jahre mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, das seine gegen die ablehnenden Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annahm. So vergingen insgesamt elf Jahre mit dem infolge des Zeitablaufs praktisch nicht mehr relevanten Ergebnis, dass nach Meinung des EGMR in der Ablehnung des Umgangsrechts ein Verstoß gegen Art. 8 und 6 Abs. 1 EMRK gelegen hatte. Aber ganz unnütz war die schließlich erstrittene Entscheidung für den Beschwerdeführer nicht; ihm wurde für den erlittenen immateriellen Schaden ein Betrag von 55.000 DM - neben der Erstattung der Kosten und Auslagen - zuerkannt.

Und in ähnlichem Ton werden die Fälle Sahin und Elsholz dargestellt, statt sich Gedanken darüber zu machen welches unsägliches Leid und welch irreparabler Schaden, der durch keinerlei materielle Zuwendung abgegolten werden kann, vor allem für die Kinder, allein durch die überlange Verfahrensdauer entstanden ist.. 

....Bleibt der Wunsch nichtehelicher Väter, nach einer Trennung von der Kindesmutter mit den gemeinsamen Kind in Verbindung zu bleiben, auf Grund von Entscheidungen der deutschen Gerichte unerfüllt, so wird sich zwar - wie in den genannten Fällen - das Bundesverfassungsgericht weigern, hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung anzunehmen; es handelt sich ja ganz eindeutig um die Anwendung einfachen Rechts, nicht um ,,spezifisches Verfassungsrecht" (so die klassische Formel in BVerfGE 18, 85 [92 f.]), soweit es um die tatsächlichen Feststellungen der Fachgerichte und ihre rechtliche Würdigung geht. Aber das ist dann nicht mehr das letzte Wort. Auch wenn der EGMR die Entscheidungen der Fachgerichte nicht aufheben kann, so kann er doch eine Konventionsverletzung feststellen und vor allem eine Entschädigung festsetzen, die, wie die Beispiele zeigen, beachtliche Beträge erreicht. Das macht den Gang zum Gericht attraktiv.......

Im Kapitel II wird dann das alte Kindschaftsrecht der Neufassung von 1998 gegenübergestellt: Man kann mit dem Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber zwischen den gegeneinander stehenden Interessen der Kindeseltern und denen des Kindes damals einen vernünftigen oder doch erträglichen Ausgleich gefunden hat. Aber es gibt auch gute Gründe für eine Regelung, welche die Rechte des nichtehelichen Vaters stärkt. Solche Überlegungen haben schließlich zu der Änderung der Vorschriften durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 geführt. Heute gilt nach § 1684 BGB n.F., dass jeder Elternteil, auch der nichteheliche Vater, das Recht und sogar die Pflicht zum Umgang mit dem Kinde hat, sofern  nicht das Familiengericht dies im Interesse des Kindeswohls ausschließt......

Ob es nach der EMRK zulässig ist, zwischen der Rechtsposition eines (geschiedenen) ehelichen und eines nichtehelichen Vaters zu unterscheiden, so wie es nach § 1711 BGBa.F. noch geschah, ist eine grundsätzliche Frage. Zu ihrer Klärung erwartet man schon einige wirkliche Argumente.  ......Der grundsätzliche Ertrag der Straßburger Entscheidungen zur Frage des Umgangsrechts eines nichtehelichen Vaters mit seinem Kinde, sein Beitrag zu einer lange umstrittenen und in der Lebenswirklichkeit wichtigen Frage, liegt bei Null.

Aus Kapitel III:

.... Das Bundesverfassungsgericht hat es schon aus eigenem Interesse daran, seine arbeitsmäßige Belastung in erträglichen Grenzen zu halten, aber auch mit Rücksicht darauf, dass es allein für Verfasungsfragen zuständig ist, vermieden sich in die Anwendung des ,,einfachen" Rechts durch die Fachgerichte einzumischen. Freilich hat es dann eine Ausnahme gemacht, wenn die ihm zur Überprüfung vorgelegten Entscheidungen ,,objektiv willkürlich" erschienen, wie die nicht unumstrittene Formel für solche relativ seltenen FälIe lautet. Allein schon der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht in allen in Straßburg entschiedenen Verkehrsrechts FälIen die Annahme der Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung abgelehnt hat, spricht dafür, dass bei den angegriffenen Urteilen der Fachgerichte jedenfalls von Willkür nicht geredet werden kann; auch der EGMR vermeidet es sorgfältig, einen solchen Vorwurf zu erheben. .........

Es folgen dann Anmerkungen zum Umgang mit Gutachten und Kindesanhörung die sich gegen die deutliche Kritik des EGMR wenden.

Aus dem Schlusskapitel (IV): 

Mit alledem entsteht ein Gefühl der Unberechenbarkeit von Entscheidungen, die fern vom Geschehen und nach einem durch den Weg durch die Instanzen unvermeidbaren zeitlichen Abstand fachgerichtliche Urteile zu prüfen haben, die mehr als auf jedem anderen Gebiet auf den unmittelbaren Eindruck angewiesen sind. Was dem Wohl des Kindes dient, das auch in den Entscheidungen des EGMR zu Recht in den Mittelpunkt seiner Erwägungen gestellt wird, bedarf der Beurteilung vor Ort; es ist auf die richterliche und die Lebenserfahrung der mit der Sache befassten Richter angewiesen. Was diese in den entschiedenen Fällen eigentlich falsch gemacht haben sollen, kann man den Gründen des EGMR nicht entnehmen, und schon gar nicht lassen sich hieraus Richtpunkte dafür entnehmen, wie sich die Fachgerichte in solchen Fällen verhalten sollen. Sie müssen künftig unter dem Risiko entscheiden, dass der EGMR es besser weiß, ohne dass sie von diesem erfahren, was sie anders machen müssen. ...... Der Gerechtigkeit würde ein größerer Dienst erwiesen, wenn man die Fachgerichte nicht weiter verunsichern würde, sondern sie ihre Arbeit tun ließe.

Demnach ist Kindeswohl also doch eine,,örtliche Angelegenheit" mit dem sich weder normalerweise das BVerfG befassen sollte und schon gar nicht der EGMR, sondern ganz der ,,großen Sorgfalt und Verantwortung" von lokalen Jugendämtern (für die schon von vornherein keinerlei übergeordnete Kontrollinstanz vorgesehen ist, sondern die nur allenfalls kommunaler Selbstkontrolle unterliegen), Amtsgericht und eventuell Oberlandesgericht überlassen werden sollte. Dazu scheint auch eine Haltung zu Fällen einer Kindesentführung nach Deutschland zu passen, die, obwohl es jetzt doch auch Anzeichen für eine verbesserte Umsetzung des Haager Übereinkommens gibt, im Ausland immer noch heftigst kritisiert wird, wie z. B. jetzt wieder, anlässlich der Demonstrationsveranstaltung (Hungerstreik) in Berlin, oder zur Arbeit der deutsch-französischen Parlamentarierkommission die, ähnlich wie eine U.S-deutsche Kommission, wegen gravierenden Kindschaftsrechtproblemen und nach heftigen Protesten auf höchster internationaler Ebene schließlich eingesetzt worden war.

Wir finden es durchaus richtig, wenn Deutschland jetzt wieder selbstbewusst in der Völkergemeinschaft auftritt, aber auch z. B. Frankreich und Großbritannien, Völkern denen man gewiss nicht mangelndes Nationalbewußtsein nachsagt und die eine lange und vor allem ungebrochene demokratische Rechtsentwicklung hinter sich haben, fanden es durchaus wichtig und hilfreich bei ihren jüngsten Reformen des Kindschaftsrechts auf die internationale Entwicklung zu achten. Das sollte gerade auch Deutschland in besonderem Maße tun.,,Ich glaube, dass sich unsere zwei Kulturen, Gesetze und Rechtspraxis bezüglich Sorge- und Umgangsrechtsfragen ganz erheblich unterscheiden und, dass Deutschland da auf dem Stand der U.S.A. in den sechziger Jahren ist." Das war neuerlich das Fazit einer der weltweit bekanntesten Autoritäten auf diesem Gebiet (pers. Mitteilung). Wir jedenfalls werden versuchen, weiterhin auch über internationale Entwicklungen im Kindschaftsrecht zu berichten, selbst wenn sie nicht Bestandteil innerdeutschen Rechts sind, wie es die von Deutschland unterzeichnete Europäische Menschenrechtskonvention, oder (allerdings mit Vorbehalten) die U.N.- Kinderrechtskonvention und das Haager Übereinkommen zu internationaler Kindesentführung sind. 

Heilmann (1998) beschäftigt sich im Rahmen des auch in den hier angesprochenen Fällen höchst relevanten Themas ,,Kindliches Zeitempfinden und Verfahrensrecht" ausführlich mit der innerdeutschen Stellung dieser Konventionen und zitiert (S. 36 ff.). u.a. eine Entscheidung des BVerfG vom 26.3.1987 (BVerfGE 74, 358 ff.) in der festgestellt wird, dass die EMRK zwar den Rang eines einfachen Bundesgesetzes habe, dass jedoch später erlassene Gesetze grundsätzlich in Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands auszulegen und zudem Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK auch bei der Auslegung des Grundgesetzes in Betracht zu ziehen sind, so dass auch die Rechtssprechung des EGMR ,,als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes" heranzuziehen sind.  Des weiteren wird von Heilmann ausgeführt ( S. 37, Zitat Priebe): ,,Zudem kann sich die Rechtsprechungspraxis eines zwischenstaatlichen Gerichts auf den innerstaatlichen Bereich besonders nutzbringend auswirken, da der ,,außenstehende zwischenstaatliche Richter weit weniger als der innerstaatliche Richter der Gefahr ausgesetzt (ist), ,,gewachsene'' Mißstände im Rechtschutzsystem eines Landes für ,,normal und unabänderbar'' zu halten.  

Zur Ergänzung möchten wir abschließend noch den Artikel 43 der Europäischen Menschenrechtskonvention anführen der die Stellung eines Revisionsantrags innerhalb von drei  Monaten gegen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes in Ausnahmefällen ermöglicht, einer Möglichkeit von der die Bundesrepublik jetzt wiederholt Gebrauch gemacht hat. Wenn dem Antrag stattgegeben wird, wie in den Fällen Sommerfeld und Sahin, muss erneut, diesmal vor einer großen Kammer (17 Mitglieder) verhandelt werden. Die Entscheidung Elsholz gegen Deutschland war davon nicht betroffen. Sie war nach der früheren Verfahrensweise schon von einer großen Kammer getroffen worden. Ob die Beschwerde im Fall Kutzner zur Entscheidung angenommen wird, muss erst beschlossen werden. Darüber liegt bisher noch keine Pressemitteilung des EGMR vor. Die ohnehin schon überlange Verfahrensdauer und damit in Kindschaftsrechtsachen die Entfremdung der Kinder wird dadurch jedenfalls erheblich weiter erhöht.

Artikel 43 lautet: 

Artikel 43 - Verweisung an die Grosse Kammer

1. Innerhalb von drei Monaten nach dem Datum des Urteils der Kammer kann jede Partei in Ausnahmefällen die Verweisung der Rechtssache an die Grosse Kammer beantragen.

2. Ein Ausschuss von fünf Richtern der Grossen Kammer nimmt den Antrag an, wenn die Rechtssache eine schwerwiegende Frage der Auslegung oder Anwendung dieser Konvention oder der Protokolle dazu oder eine schwerwiegende Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft.

3. Nimmt der Ausschuss den Antrag an, so entscheidet die Grosse Kammer die Sache durch Urteil.

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